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Meine Gedanken zur Krypto Ende 2021

Oder: Ikarus ist wieder da

Disclaimer: Es handelt es sich hier um einen Meinungsbeitrag. Keine Gewähr auf Vollständigkeit oder Richtigkeit.

Kryptowährungen sind nach wie vor in aller Munde. Die Pandemie hat das Interesse, in gewisser Weise die Adaption, vorallem aber das Handelsvolumen massiv gesteigert. Aquirer, Kreditkartenfirmen und selbst als tendenziell konservativ geltende Banken und Vermögensverwalter erliegen dem zweifelhaften Erfolg dieser (eigentlich nicht) neuen Technologie – unter anderem mit eigenen Kryptofonds. Da sicherlich jeder sinngemäß den Spruch “Wenn Ihnen sogar Ihr Friseur Aktientipps gibt, ist es Zeit die Beine in die Hand zu nehmen” kennt und diese skurrile Situation seit geraumer Zeit besteht, möchte ich einmal meine kritischen Gedanken zur Kryptoindustrie kundtun. Der Spruch sollte nicht despektierlich gegenüber dem Friseurhandwerk verstanden werden, sondern illustriert die Tatsache, dass wir uns, wenn die breite Masse überproportional Gewinne macht oder zu machen scheint, bereits mathematisch in einer “Blase” befinden.

Um es direkt zu sagen- ich sehe persönlich große Vorteile in Technologien der dezentralen Konsensgewinnung, also das, wofür beispielsweise Blockchain oder Tangle-Graphen geschaffen wurden. Diese Vorteile sind aber andere als die immer wieder genannte Transparenz, Anonymität, bessere Datensicherheit, bessere Sicherheit oder die proklamierten schnelleren Geschwindigkeiten. Bei näherer technischer Betrachtung, abseits vom Storytelling der Whitepapers, sind die genannten Vorteile oft weder existent, noch wirkliche Vorteile, teilweise sogar massive Nachteile.

Schauen wir uns kurz den grundlegenden Unterschied zwischen zentralem Konsens und dezentralem Konsens an:

Im Falle eines Zahlungsmittels oder Währung gibt es beim zentralen Konsens eine Bank, die für den Konsens sorgt, also bei wem wieviel Geld auf dem Konto liegt. Dafür führt die Bank ein Buch, in dem sämtliche Transaktionen aufgelistet werden. Das Vertrauen in das Währungssystem ist also direkt abhängig vom gewissenhaften Geschäftsgebaren (also der ordentlichen Buchführung) der Bank. Das gewissenhafte Geschäftsgebaren der Bank wiederum ist direkt abhängig von der Gewissenhaftigkeit der Regierung und der Rechtssicherheit des entsprechenden Staates.

Im dezentralen Fall wird keine Bank benötigt, stattdessen wird eine Gruppe an Bürgern bestimmt, von denen jeder parallel Buch über alle Transaktionen führt (die sogenannten Miner). Für diesen Dienst erhalten die Miner eine Entschädigung (Block Reward). Das bedeutet natürlichen einen gewissen Overhead, da statt einem zentralen Buch nun beispielsweise 20 Bücher geführt werden müssen. Außerdem muss für den Fall, dass sich in den Büchern unterschiedliche Einträge finden, eine Entscheidung getroffen werden, welche Bücher “recht haben”, es muss also ein Konsensalgorithmus entwickelt werden.

“Krypto sorgt für mehr Datenschutz”

An der gerade genannten Verbildlichung, die näher an der technischen Realität ist, als Sie vielleicht denken, lassen sich einige Gedankenexperimente durchführen, um Vor- und Nachteilen von Kryptowährungen näher zu kommen. Beispielsweise lässt sich leicht die Frage stellen, ob sich der Datenschutz erhöht, wenn die persönlichen Daten, ob unverschlüsselt oder verschlüsselt, an potentiell 20 verschiedenen Orten angreifbar sind, als an einem Ort. Dies ist nicht der Fall. Die Daten sind sicherer vor Manipulation, für den Preis des Datenschutz. Sie wissen sicher selbst, ob Ihre Hausbank Ihre Transaktionsdaten jemals manipuliert hat und ob Sie für ein Ende dieser törichten Manipulationen bereit sind, ihre gesamten privaten Transaktionen offen zu legen. Ich bin es nicht. Ich habe zwar viel Kritik an meiner Bank, aber nicht in dieser Richtung.

“Krypto sorgt für mehr Anonymität”

Auch lässt sich leicht die Frage beantworten, ob Kryptowährungen Anonymität bedeuten und die Antwort ist: nein, sie bedeuten das Gegenteil. Statt einer Bank mit Bankengeheimnis und hohen richterlichen Hürden für einen Zugriff bedeuten Kryptowährungen eine schonungslose Transparenz zu jeder Transaktion, die existiert. Das bedeutet im Gegensatz zum bestehenden System: Jeder weiß zu jeder Zeit, wer wem wann wieviel überwiesen hat und wer wann wieviel auf dem Konto liegen hat. Anders als weitläufig vermutet, können Kryptowährungen nur mit hohem kriminellen Aufwand anonym erworben werden. Alle Börsen, wie auch beim Aktienmarkt, sind der Identitätsfeststellung verpflichtet. In diesem Sinne ist die Transparenz zweifelsohne eine Eigenschaft von Kryptowährungen, die Frage ist jedoch, ob es ein Vorteil ist, wenn private Finanztransaktionen frei zugänglich sind, oder ob das einen zum gläsernen Bürger macht.

“Krypto sorgt für mehr Sicherheit”

Um dieses Argument zu entkräften, muss ich ein wenig die technischen Konsensalgorithmen erläutern. Anders als bei unserem Beispiel werden in der Praxis nicht alle Bücher verglichen und ein Konsens aus der Mehrheit bestimmt, sondern – bitte festhalten – der Bürger, der sich am schnellsten im Kreis drehen kann, besitzt bestimmungsgemäß das richtige Buch. Sie kennen also nun den sogenannte Proof of Work Algorithmus. Ein neuer, als revolutionär bezeichneter Algorithmus soll dies durch die bahnbrechende Idee ersetzen, dass der Bürger das richtige Buch besitzt, der am meisten Geld auf dem Konto liegen hat. Jetzt werden Sie sich eventuell fragen, ob ich auf schlechte Witze mache, aber leider ist das kein Scherz. Der sogenannte Proof of Work Algorithmus, aktuell der am weitesten verbreitetste Konsens-Algorithmus, erfordert das Lösen von sehr schwierigen Differentialgleichungen, die nichts mit der Währung zu tun haben. Die Erfinder des Algorithmus nehmen an, dass jemand der fähig ist, einen Algorithmus schneller zu lösen, gleichzeitig auch vertrauensvoller ist. Je mehr Power ein Computer hat, desto schneller kann er diese Gleichung rechnen, in unserem Beispiel ist dies die Power im Bein des Bürgers, der sich auf der Stelle im Kreis dreht. Dieser Algortihmus, wer hätte es anders vermutet, hat in der Praxis bereits versagt – mit Resets und Hardforks in der Folge. Von der massiven Ressourcenverschwendung und den damit verbundenen Ausstößen ganz zu schweigen. Der hochgepriesene Nachfolger von Proof of Work ist Proof of Stake, bei dem wie erwähnt die Reichsten den Konsens bestimmen – ein weiterer sehr origineller Vorschlag der Kryptoszene. Mich erinnert dieser Teil von Krypto an des Kaisers neue Kleider. Niemand sieht den Sinn oder kann ihn stichhaltig verteidigen, aber jeder redet davon.

“Es kann doch nicht so einfach sein, dass ein so großer Teil von Menschen sein Geld in eine solch unausgereifte Technologie steckt. Also muss ich etwas übersehen. Ich will dabei sein und auch Gewinne machen. Doge to the moon!” Fast jeder Kryptoinvestor

“Krypto ist dezentral”

Selbst die Dezentralität ist bei einigen Kryptowährungen nur ein Marketingbegriff, statt gelebte technische Realität. Anders als bei anderen Technologien, die im ersten Schritt erfunden werden und sich daraus im zweiten Schritt Anwendungen ergeben, wird die Anwendung bei vielen Kryptowährung bereits proklamiert, bevor die technischen Herausforderungen geplant oder überhaupt für machbar befunden wurde. So auch bei der bekannten auf einem Tangle (statt Blockchain) basierenden Währung “IOTA”. Obwohl die Macher so sehr von Ihrer Technologie überzeugt zu sein scheinen, dass sie als “zukünftige Währung des Internet of Things” bezeichnet wird, nutzen sie diese Technologie bisher nicht. Es existieren zwar in der Theorie dezentrale Nodes, trotzdem betreibt die IOTA Stiftung eine zentralen Koordinatornode, der jede Transaktion verifizieren muss, d.h. IOTA ist aktuell eine zentrale Bank, die gerne in der Zukunft mit einer noch zu entwickelnden Technologie dezentral werden möchte. Weiterhin muss erwähnt werden, dass IOTA in der Vergangenheit, wie viele andere Kryptowährungen auch, durch technische Schwachstellen aufgefallen ist. Aber auch bei anderen Kryptowährungen ist die tatsächlich gelebte Dezentralität auf Grund von so genannten “Mining Pools” fraglich. Mining Pools bündeln kommerziell Mining- Kapazitäten, sodass ein Großteil der verfügbaren Miningpower bei einzelnen Akteuren liegt, die Eigeninteressen haben können. In der Vergangenheit konnten dadurch sogenannte “Sybil” Attacken durchgeführt werden, bei denen die Blockchain zum Vorteil des Miners manipuliert wurde.

“Krypto ist schneller”

Dieses Argument lässt sich zum Stand 2021 mit unserem Eingangsbeispiel entkräften. Dezentrale Kryptowährungen brauchen für die selbe Anzahl an Transaktionen aktuell mehr Ressourcen, als zentrale Währungen, was ziemlich logisch ist. Eine zentrale Buchung löst den Eintrag in 1 “Buch” aus, eine dezentrale Buchung mit n-Nodes löst den Eintrag in n-Bücher aus. Auch bei nicht Blockchain basierten Kryptowährungen wie IOTA wird jede Transaktion von mindestens 2 anderen Transaktionen bestätigt, d.h. bei gleichen Ressourcen sind dezentrale Kryptowährungen in der Regel bisher langsamer.

Name Maximale Transaktionen pro Sekunde (TPC) Typ
Visa 65.000+ Credit Card
Solana 50.000 Blockchain
Ripple 1.500 Blockchain
Paypal 193 Payment Provider
Litecoin 56 Blockchain
Dash 48 Blockchain
Ethereum 20 Blockchain
Bitcoin 7 Blockchain
https://www.researchgate.net/figure/Cryptocurrencies-transaction-speeds-compared-to-Visa-and-Paypal-74_fig2_338792619 https://www.visa.co.uk/dam/VCOM/download/corporate/media/visanet-technology/aboutvisafactsheet.pdf https://www.gemini.com/cryptopedia/solana-blockchain

Warum arbeiten dann alle mit Krypto oder kündigen Projekte an?

Ohne die Mehrheit der Kryptounternehmen direkt mit Wirecard vergleichen zu wollen, erinnern Sie sich daran, wer alles stolz Partnerschaften mit diesem Räuberhaufen verkündet hat? Wo so viel Geld auf dem Boden liegt, lohnt es, die Hände schmutzig zu machen. In jedem Markt herrscht Wettbewerb, der für entsprechenden Druck sorgt und zum Arbitrieren der zu Geld gewordenen Missverständnisse im Kryptomarkt zwingt. Ob Mastercard ein Problem damit hat, seine Kooperationsunternehmen beim Knall der Kryptoblase wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen? Die Vergangenheit sagt nein.

Alles schlecht? Auf keinen Fall!

Bevor der Eindruck entsteht, ich wäre ein Kryptopessimist, möchte ich zwei Beispiel nennen, bei dem Krypto aus meiner Sicht tatsächliche Vorteile bringt, das heißt bestehende Prozesse beschleunigt, verbessert oder dabei hilft, Ressourcen zu sparen.

Beispiele: Einige NFT’s und öffentliche Verwaltung

Dezentraler Konsens eignet sich meiner Meinung nach für alle Anwendungen, bei denen zu gewissen Sachverhalten ein Konsens nötig ist, ohne dass eine zentrale Organisation erwünscht ist oder bei denen eine zentrale Organisation zu viel Ressourcen benötigt. Ein Beispiel sind NFT’s. NFT’s sind Einträge auf einer Blockchain, die den Besitz eines gewissen Assets verifizieren. Beispiele sind digitale Kunst wie Bilder, Videos oder Musik, sowie Assets wie Bekleidung, Grundstücke oder Skins in Computerspielen oder Metaversen. Anders als bei Finanztransaktionen ist es bei NFT’s erwünscht, dass der Besitz öffentlich einsehbar ist. Zudem gibt es bisher keine führende zentrale Instanz, die digitale Besitzgüter verifiziert, sodass die meisten dieser Güter erst mit dem Aufkommen von dezentraler Buchführung wie Blockchain entstanden sind. Ob die aktuellen Hypepreise im NFT-Sektor gerechtfertigt sind und sich NFT’s für digitale Güter durchsetzen, ist eine andere Geschichte. Ein anderes Beispiel wäre das öffentliche Grundbuch. Statt einem städtischen Beamten, der sich auf einen Kaufvertrag verlassen muss, um dann die entsprechenden Änderungen manuell in das Grundbuch einzutragen, könnte dies ressourcensparend über eine Blockchain abgewickelt werden. Als Miner würden Notare auftreten, die Einblick in die Blockchain hätten, während der Bürger sein Asset (das Haus) selbst an den zukünftigen Besitzer übertragen könnte, welcher dies auf seiner Seite mit einer Transaktion bestätigt.

Mein Kritikpunkt ist nicht, dass dezentrale Währungen/Buchführung keine Vorteile bringt, sondern dass die Vorteile in der aktuellen Kryptoindustrie den teilweise fadenscheinigen Verkaufsargumenten nachgelagert, bis teilweise garnicht existent sind. Und dass der aktuelle Hype der Kryptowährungen nicht mit den Vorteilen der Technologie und dem tiefen Verständnis der Anleger zusammenhängt, sondern mutmaßlich mit einer sich selbst verstärkenden Mischung aus Gier, billigem Geld und einem gewissen Teil Betrug.

Wie auch bei Aktien: Schuster bleib bei deinen Leisten. Wenn Sie sich von dem Satz “Wie funktioniert ein Hello World in C” bereits überfordert fühlen, gehören Sie zu den 99% der Kryptoinvestoren, denen die minimalsten technischen Grundlagen fehlen. Sie betreiben Glücksspiel und das sollte Ihnen bewusst sein. Wenn Sie Gewinne machen konnten, sein Sie froh über Ihr Glück und realisieren Sie diese, aber machen Sie nicht den Fehler und erliegen dem “Hot Hand” Bias. Märkte mit solchen Anlegern sind nichts neues und eine Umverteilungsmaschinerie von den Ungeduldigen zu den Geduldigen. Mich persönlich treiben die massiven Ineffizienzen um, die durch die Ressourcenallokation in den Kryptobereich für unsere Volkswirtschaften erzeugt werden, und die durch Gier sinkende Fähigkeit zum Vertrauen in die eigene Auffassungsgabe. Denn sind wir doch mal ehrlich – jedem ist die Situation innerlich bewusst.

Mein Fazit Ende 2021

Die meisten proklamierten Vorteile der aktuellen Kryptowährungen lösen sich bei genauerem Ansehen auf

  • Kryptowährungen sind weder anonym, noch sind sie datenschutzfreundlich
  • Kryptowährungen sind Stand 2021 nicht schneller als bestehende Lösungen
  • Kryptowährungen können für bestimmte Use-Cases durchaus Vorteile bringen
  • Viele aktuelle Konsensalgorithmen sind manipulierbar und wurden bereits manipuliert
  • Die meisten Kryptoanleger verstehen die zugrundeliegende Technologie nicht und sind getrieben von Gier

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